Dienstag, 9. April 2013

Sicherheitsbedenken? Ach was!

Die andere Seite der Medaille ist leider eine gewisse Sorglosigkeit, die – gepaart mit einer ordentlichen Portion Unwissen – gelegentlich eine recht explosive Mischung ergibt.

Bereits Wochen vor dem Neujahrsfest werden auf den Marktplätzen Knallfrösche, Kracher und Raketen in beängstigenden Mengen verkauft. Dutzende, ja Hunderte von Buden bieten diese Dinger zum Verkauf an. Allein die pure Menge an Sprengstoff die hier lagert kann Einem Angst machen. Was aber noch hinzukommt ist die Sache, daß die Verkäufer in ihren Buden sorglos eine Zigarette nach der anderen rauchen, und sich auch nicht wirklich darum sorgen, wo sie ihre noch glimmenden Kippen hinwerfen. Leider hat es hier schon böse Unfälle mit mehreren Toten und Verletzen gegeben. Ich mache um diese Märkte aus verständlichen Gründen einen großen Bogen.

Eine ähnliche Situation hatte ich am Lago Atitlan in Guatemala. Die kleinen Motorboote die die Dörfer rund um den See verbinden müssen verständlicherweise auch gelegentlich tanken. Eine Tankstelle nach westlichem Verständnis gibt es aber nicht. Was es gibt ist eine Holzbaracke von ca. 20 Quadratmetern, bis unters Dach vollgepackt mit Benzinkanistern aus Kunststoff. Das alleine wäre nicht weiter beängstigend, wenn nicht die ganze Familie – Vater, Mutter, drei kleine Kinder, Großeltern – den ganzen lieben langen Tag in diesen Benzindämpfen sitzen würden, und Papa nicht ebenfalls ein Kettenraucher wäre.

Wer so etwas erlebt, der steht den übertriebenen Sicherheitsanforderungen und Vorsichtsmaßnahmen in Deutschland längst nicht mehr so kritisch gegenüber. Und alle Ärzte haben ein weiteres Argument dafür, daß Rauchen tatsächlich die Gesundheit gefährdet. Man lernt also durchaus nicht nur fremde Bräuche zu schätzen, man weiß auch, was man zu Hause hat.
Wir haben zum Beispiel auch ein recht gut funktionierendes öffentliches Verkehrssystem. Gut, die Chickenbusses in Mittelamerika sind in der Regel pünktlicher als die Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn (vorausgesetzt die Straße wurde nicht weggeschwemmt, ist nicht gerade belagert, und die Ziege läßt sich problemlos auf dem Dach anbinden). Dafür gibt es bei uns bequeme Sitze und eine funktionierende Technik. Die meisten Busse in diesen Ländern sind ehemalige amerikanische Schulbusse, und die sind – wie der Name schon sagt – für Schulkinder gebaut. Jeder Mensch über 1,60 Meter wird also die Reise mit den Knien an den Ohren verbringen, vorausgesetzt er hat überhaupt einen Sitzplatz. Eine Bank die für zwei amerikanische Schulkinder ausgelegt ist wird hier schon gelegentlich mit drei ausgewachsenen Menschen und einem Huhn (alternativ: Schwein, Bananenstaude, Mehlsack, etc.) bestückt, und alles was nicht reingeht sitzt auf dem Dach oder hängt an der Außenverkleidung. Die Scheibenbremsen haben ihrem Belag vor Jahrzehnten den Laufpaß gegeben, die Federung spottet jeder Beschreibung, und die Straßen sind eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern gegen die jeder europäische Feldweg wie eine Autobahn anmutet. Diese Kombination hat mindestens zwei neue Berufszweige hervorgebracht.

Da wäre der „Stopfer“, der so lange von außen drückt, bis wirklich jeder Millimeter Innenraum genutzt ist und jeder irgendwie im Bus klemmt. („Jeder“ berücksichtigt nicht das gute Dutzend derer, die zusätzlich außen am Bus hängen.) Und dann wäre da noch der „Hammermann“. Besonders auf der Panamericana in Nicaragua wurde ich mehrfach auf ihn aufmerksam. Ungefähr alle zwei bis drei Stunden macht der Bus eine Pause von einer viertel Stunde. Während dieser Zeit kommt ein Mann mit einem gigantischen Vorschlaghammer, und drischt die Federung fachkundig zurück an ihren Platz.

Ähnliches kann man auch im Luftverkehr beobachten. Gut, hier muß niemand auf den Tragflächen sitzen, aber weit davon entfernt ist man nicht. Ich hatte einen Inlandsflug von Guatemala City nach Tikal gebucht, um mir die Mayaruinen anzusehen. Als ich morgens um 4 Uhr vor dem Flughafen stehe weißt mich ein freundlicher Mitarbeiter darauf hin, dass ich zum nationalen Airport müsse. Gut, rein ins Taxi und rüber. Ich bin in der Regel recht geizig was das Taxifahren angeht, aber diesen Flughafen hätte ich ohne meinen Taxifahrer nicht als solchen erkannt: aus dem morgendlichen Nebel erhob sich – mitten auf dem was in Deutschland „Stoppelacker“ heißt – eine zirka 30 Quadratmeter große Baracke. Das Terminal. Das Interieur bestand aus einem Klapptisch Marke Ikea Campingabteilung, und ungefähr 20 Klappstühlen, die ihrem Namen alle Ehre machten. Sie klappten nämlich sofort zusammen wenn jemand versuche sich draufzusetzen. Der Beamte am Tisch war bewaffnet mit mehreren Bögen Pappe, einer Schere und einem Edding. Sie ahnen es, oder?
Richtig: mit der Schere wurden je nach Bedarf diverse rechteckige Pappstücke ausgeschnitten, dann mit dem Edding die Sitzplatz- und Flugnummer aufgemalt, und fertig war der Boardingpass. Nach einer halben Stunde Wartezeit durften wir dann „boarden“. Soll heißen: zu Fuß über den Stoppel… äh, das Rollfeld in Richtung Propellermaschine. Ich kam mir dabei vor wie nach einem Flugzeugabsturz, denn wir liefen durch eine Art Fliegerschrottplatz. Alte Turbinen, (hoffentlich) ausgediente Propeller, Höhenruder, etc. Alles was das Herz des passionierten Flugzeugbastlers begehrt. Und an Bord wurde es nicht viel besser. Es handelte sich um eine kleine Turbo-Prop mit links und rechts je einer Sitzreihe. Man muß nicht oft geflogen sein um zu wissen, wie es in einem Flugzeug aussieht. Die Beschriftungen für Notausgänge, Schwimmwesten, Klapptische usw. sind meistens in der Landessprache und in Englisch. Hier nicht! Das fröhliche guatemaltekische Sprachmemory hatte Deutsch, Italienisch, Englisch, Russisch, Spanisch und Französisch im Angebot. Schon faszinierend, aus was man alles Flugzeuge bauen kann! Wäre hinten in der Maschine ein Dixie-Klo gestanden, es hätte mich nicht mehr weiter überrascht.


Der Start verlief dann überraschend entspannt, und der Flug über die Baumwipfel des Dschungels war ein Traum. Nur seltsam, dass die Tür zum Cockpit nicht richtig schloß, und immer wieder aufklappte. Noch seltsamer, dass es zog. Die Lüftung über mir war aus, weil kaputt. Woher kam also dieser kontinuierliche Luftzug? Als die Tür das nächste Mal aufschwang bekam ich die Lösung präsentiert. Und das ist jetzt keine Stammtischgeschichte aus dem Reich der Gebrüder Grimm. Der Pilot hatte das Seitenfenster aufgeklappt, den Ellbogen in guter alter Mantafahrer-Manier aufgestützt, und rauchte eine.
Ich habe selten so gelacht. Gleichzeitig habe ich mich allerdings geärgert, dass ich meinen Fotoapparat nicht greifbar hatte. Seit damals fliege ich noch entspannter, als ich das sowieso schon immer mache. (Ich hatte mehr Schiss, als Jahre zuvor bei einem Flug mit Aeroflot nach Moskau plötzlich die Stuhllehnen von zwei unbesetzten Sitzen ohne Vorwarnung nach hinten krachten. Da sucht man dann unweigerlich nach lockeren Schrauben bei Material und Mannschaft.)

Und:
Ich habe mich nie wieder über das öffentliche Verkehrswesen in Deutschland beschwert. (Doch, einmal: ich durfte wegen Überfüllung nicht mehr in einen Linienbus einsteigen. In Mittelamerika hätten da locker noch 40 Mann hineingepaßt!) 




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