Wo wir gerade bei Gefahrensituationen sind: woran erinnert Sie die Bezeichnung „vorausschauendes Fahren“?
Mich erinnert das immer an meine Führerscheinstunden. Damals hat mir mein Fahrerlehrer erklärt, dass es wichtig ist, nicht nur den Verkehr direkt vor der eigenen Motorhaube zu beobachten, sondern auch den weiter vorne.
Nun, in Kalifornien habe ich gelernt, dass es auch so etwas wie „vorausschauenden Zeltbau“ gibt.
Ich hatte zwei Tage in Santa Barbara verbracht, und war auf dem Weg weiter Richtung Monterey. Heute baue ich mein Zelt oder meine Hängematte meistens irgendwo an einem unbeobachteten Fleck im Grünen auf, damals (schließlich stand ich am Anfang meiner ersten großen Reise) habe ich noch brav nach Campingplätzen gesucht. So auch auf der Zwischenstation in einer Ortschaft Namens Pismo Beach, einem Surfer El Dorado, wie man mir sagte. Der Campingplatz war völlig überbelegt, keine Chance mehr für mein kleines Kuppelzelt. Allerdings ist es in Pismo Beach erlaubt, am Strand zu zelten, und das hat durchaus seinen Reiz. Wäre da nur nicht die Tatsache, dass es nachts um zehn bei fast völliger Dunkelheit extreme Schwierigkeiten macht, ein Zelt so aufzubauen, dass es nicht völlig versandet! Ich hätte in dieser Nacht wohl auf weniger Sand gebissen, wenn ich einfach nur in meinen Schlafsack übernachtet hätte. Allerdings hätte ich bestimmt auch noch nassere Füße bekommen! Ein Nachteil der vielen Urlaube am Gardasee war, dass ich von Gezeiten und Tidenhub so viel Ahnung hatte wie ein Pinguin vom Tennisspielen. Fasziniert vom menschenleeren Strand und der Weite des Ozeans baute ich mein Zelt keine fünf Meter vom Wasser entfernt auf.
Sie können sich denken was kommt. Als ich am nächsten Morgen langsam aus meinen sandigen Träumen erwachte, stand das Wasser schon im Vorzelt und war dabei, meine Schuhe zu putzen. Hätte ich mein Zelt nur einen Meter weiter westlich aufgebaut – die Träume wären nicht nur sandig, sondern extrem feucht geworden.
Ich hatte nur Glück, dass der tote Seelöwenbulle ein paar Meter weiter nicht auch noch in mein Zelt gespült wurde. Der Geruch macht nicht wirklich Lust auf Frühstück.
Wenn Sie also zu den Gezeiten-Unerfahrenen gehören, dann wissen Sie jetzt, was ich mit „vorausschauendem Zeltbau“ meine.
Das Frühstück gab es übrigens trotzdem. Ein Mann hat mir vor seiner Haustür eine Tasse Kaffee angeboten, und während wir über seinen letzten Aufenthalt in Europa geplaudert haben hat mich seine Nachbarin mit frischen Erdbeeren versorgt. Wenn Amerikaner nicht gerade irgendwelche Vorschriften beachten müssen, sind sie unglaublich freundlich – auch wenn sie einen am nächsten Tag schon wieder vergessen haben.
Was ich nie vergessen werde, das ist mein Aufenthalt in San Francisco. Zum Einen, weil es für meine Begriffe wirklich eine der schönsten US-amerikanischen Städte ist. Durch die hügelige Landschaft wirkt die Stadt nicht ganz so künstlich angelegt wie viele andere, es gibt viele unterschiedliche Viertel, eine wunderschöne Umgebung, und die Menschen sind – so habe ich es jedenfalls in Erinnerung – großartig. Noch tiefere Eindrücke (im wahrsten Sinne des Wortes) hat aber der Wunsch hinterlassen, aus den USA echte Cowboystiefel mitzubringen. Wobei das Finden des richtigen Ladens und der eigentliche Kauf wirklich das Geringste waren. Ich hatte mir aber in den Kopf gesetzt, die neuen Treter ausgerechnet in der hügeligsten Stadt der USA einzulaufen! Wer schon einmal Cowboystiefel eingelaufen hat kann sich vorstellen, dass meine Füße und Zehen nach einem kompletten Wandertag durch San Fran am Abend ganz schön geschunden waren. Gut, so viel Dummheit gehört aber auch bestraft.
Für den Weg zum San Francisco Brewhouse in der Nähe des Coit Tower (wenn ich mich recht erinnere) habe ich dann doch wieder die bewährten Trekkingstiefel benutzt. Wenn man einem Franken erzählt, dass es in Amerika auch wirklich gutes Bier gibt, dann ist ein Feldversuch geradezu Pflicht, egal wie sehr die Füße schmerzen! Und es hat sich wieder einmal doppelt gelohnt. Einerseits weil das San Francisco Brewhouse dutzende wirklich leckerer Biere aus sämtlichen amerikanischen Staaten anbietet.
Andererseits weil ich gelernt habe nicht alles zu glauben, was man mir erzählt. Und damit meine ich jetzt nicht nur die Aussage „In Amerika gibt´s kein vernünftiges Bier“. Je mehr sie reisen, je mehr sie nachforschen und sich interessieren, umso mehr werden sie feststellen, dass viele gängige Meinungen nur auf Vorurteilen und Missverständnissen beruhen. Denken Sie an die Haie. Alles menschenfressende Bestien, oder? Aber dazu später mehr.
Ach ja, und wo wir gerade bei Bier waren. Es liegt natürlich an Ihnen, sich entsprechenden lokalen Gepflogenheiten anzupassen, oder es zu lassen. Sollten Sie sich aber unwohl fühlen wenn Sie von einem kompletten Restaurant angestarrt werden, dann empfehle ich Ihnen, in Salt Lake City möglichst kein Bier zu bestellen. In der Mormonen-Hauptstadt ist das wohl eher unüblich. Ich habe mein Bier zwar bekommen, allerdings musste der „Barkeeper“ dafür erst diverse Schränke durchsuchen, und konnte sich seinen Nimm-es-und-geh-Blick nur schwer verkneifen. Ich habe diese Begebenheit Jahre später einem befreundeten Amerikaner erzählt. Sein Kommentar: „Wenn Du mit langen Haaren, einem Ohrring, und außerdem unrasiert in Salt Lake City ein Bier bestellst, dann halten die dich womöglich für einen Massenmörder.“ Vorurteile gibt es also überall auf der Welt. Oder anders ausgedrückt: es gibt kulturelle Eigenheiten die einem noch so widersinnig erscheinen mögen. Lieber einmal mehr informiert, und man kommt mit fast jedem gut aus.
Je mehr ich unterwegs war, desto öfter bot sich mir auch die Gelegenheit möglichst sparsam voranzukommen. (Vielleicht gab es diese Gelegenheiten vorher auch schon, ich habe sie nur nicht erkannt.)
Ich wollte zu den Cliff Dwellings auf der Mesa Verde. Uralte Steinbauten auf einem Tafelberg mitten in den Bergen um Durango. Nach Durango zu kommen war Dank Greyhound und mittlerweile ausgereifter Trampererfahrung kein Problem. Was mir mehr Sorgen bereitet hat war die Tatsache, dass in dieser gebirgigen Gegend kaum Menschen, geschweige denn Autos unterwegs waren, mit denen ich die restlichen 60 Kilometer bis zur Mesa Verde überbrücken konnte. Aber auch hier war die Hilfe nicht weit. Im Hostel von Durango lernte ich eine Amerikanerin kennen, die selbst mit dem Auto auf der Durchreise war, und sich am nächsten Tag die Mesa Verde ansehen wollte. Dazu kam, dass Sie versehentlich eine Art Familieneintrittskarte für den Nationalpark gekauft hatte, und mich deshalb umsonst mitgenommen hat. Wir haben den kompletten Tag gemeinsam verbracht, sind durch den Park gewandert, haben Führungen durch die Felsbauten unternommen, und haben am Abend gemeinsam auf einem Felsvorsprung gegessen.
Einziges Problem: sie hatte vergessen mir zu sagen, dass sich 14 Tage vorher ein Stinktier in ihr offen stehendes Auto verirrt hatte, und beim Anblick von so viel weichen Polstern offensichtlich dem Liebesrausch verfallen ist. Es war zwei Wochen her, und im Auto stank es nach wie vor erbärmlich!
Nicht von ungefähr kommt meine Marotte, mein Zelt immer zu schließen, selbst wenn ich mich nur fünf Meter wegbewege.
Einige Wochen später sollte sich das bezahlt machen, als einer dieser schwarzhaarigen Stinker in der Nähe von Carlsbad (hier habe ich die Carlsbad Caverns mit ihrer riesigen Fledermauskolonie besucht) direkt auf mein Zelt zuhielt, sich dann aber für das Nachbarzelt entschied, weil hier der Eingang offen war. Ich habe selten so erfolglos versucht, mir das Lachen zu verkneifen. Sollten Ihre Kinder also wieder mal vergessen haben die Tür zu schließen, versuchen Sie es mit dieser Geschichte.
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