Donnerstag, 27. Dezember 2012

Und weiter geht's in Amerika!

Irgendwie habe ich es dann geschafft, mit dem Greyhound in die richtige Gegend zu kommen, in die kalifornische Wüste, in die Gegend von Indio und 29 Palms. Und um es richtig authentisch zu machen musste die nächste Entscheidung getroffen werden: von hier aus wird getrampt. Also: Daumen hoch, und warten was passiert.
Eines gleich vorweg: in den ganzen Jahren ist mir noch in keinem Land etwas Schlimmes beim Trampen passiert. Da mag eine gehörige Portion Glück mit im Spiel gewesen sein, aber ich möchte keine der vielen kuriosen Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, und keine der Gestalten die ich dabei kennen gelernt habe jemals missen.
Alleine in der Gegend um 29 Palms konnte ich in dieser Beziehung schon eine recht interessante Kuriositätensammlung eröffnen. Auf den ersten Kilometern konnte ich bereits die Erfahrung machen, dass es nichts Ungewöhnliches ist völlig ungesichert auf der offenen Ladefläche eines Pick-Up zu sitzen. Es ist schon ein besonderes Gefühl von Freiheit, wenn man – mit dem Rucksack neben dran – auf diesem von der Sonne aufgeheizten Blech sitzt, und sich den heißen Fahrtwind aus der Wüste um die Nase wehen lässt. Zumal die Gegend um 29 Palms mit ihren tausenden von Windkrafträdern mitten im Wüstensand eine eigenartige Atmosphäre verbreitet. Natur und Zivilisation bilden hier ein seltsames Zusammenspiel.

Leider ist dieser Anblick nicht faszinierend genug um zu vergessen, das einem auf der glühend heißen Ladefläche so langsam der Hintern gar wird, und man erste unfreiwillige Grillstreifen an empfindlichsten stellen bekommt! Zum Glück kann man einen Rucksack auch als Sitzgelegenheit verwenden.

Mein nächster Chauffeur war ein reicher Säufer mit einem Monster von einem Pick-Up Marke Spritfresser mit Goldkante. Dieses Mal durfte ich vorne sitzen, und konnte dadurch so einiges über die Gegend erfahren. Hier befinden sich mehrere Dutzend (wenn nicht sogar hundert) Golfplätze. Mein Fahrer war wohl so etwas wie ein Golfplatzbauer. Ein Job, der offensichtlich gutes Geld bringt, denn sogar der goldene Flachmann der regelmäßig zum Einsatz kam dürfte teurer gewesen sein, also so manche Monatsmiete für ein Mittelklasseapartment in einer deutschen Großstadt.
Auch das Rentnerehepaar, das mich später aufgabelte und mit seinem Mietwagen durch den Park gekarrt hat war einfach zu nett! (Und vermutlich lebensrettend waren Sie außerdem. Der nächste Campingplatz war einige Meilen entfernt, und dort gab es – wie mir das Schild sagte – keine Wasserstelle! Wieder was gelernt: niemals ohne Wasser auf Tour gehen!)
Und dann gab es noch die Lady in ihrem Geländewagen, die mich nach einer halben Stunde Wartezeit am Rande der Straße aufgesammelt hat. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob die Dame einfach nur an übersteigertem Selbstbewusstsein gelitten hat. Jedenfalls stellte sie sich mir als Betty Bottoms vor, und behauptete die Mutter des Schauspielers Timothy Bottoms zu sein. Man kennt Ihn aus diversen Hollywoodstreifen, und Mama Bottoms bot mir an in ihrer Villa ganz in der Nähe zu übernachten. Sie wollte mir sogar für den nächsten Tag ein Auto leihen, damit ich die Gegend erkunden könne. Damals habe ich (wohl aus Vorsicht, Schüchternheit, und weil ich weiter wollte) abgelehnt. Heute würde ich sofort zusagen. Solche Menschen sind Gold wert.

Während meiner ganzen dreimonatigen Reise durch die Staaten musste ich beim trampen übrigens niemals länger als eine halbe Stunde auf die nächste Mitfahrgelegenheit warten. Und wie sie bis jetzt sicherlich schon gemerkt haben, jede Minute Wartezeit hat sich mehr als gelohnt. Nicht nur, dass ich innerhalb kürzester Zeit die unterschiedlichsten Menschen und Fahrstile kennen gelernt habe, auch meine Art auf Menschen zuzugehen hat sich in dieser kurzen Zeit sehr verändert. Ich habe gelernt in Gesichtern und Gesten zu lesen, einzuschätzen, ob Menschen vertrauenswürdig sind oder nicht, zu merken, ob man ein Angebot besser akzeptiert oder ablehnt.
Natürlich muss einem klar sein, dass das nicht immer funktioniert. Verbrecher sehen nun mal nur in Mickey Mouse Heften aus wie Verbrecher. Aber diese neue Fähigkeit lässt sich schließlich nicht nur beim Reisen in fernen Ländern, sondern auch beim alltäglichen Miteinander zu Hause und im Beruf anwenden. Möglicherweise auch beim ersten Zusammentreffen mit der zukünftigen Schwiegermutter.

Ach, wo wir gerade bei Schwiegermüttern sind: um eine ganz spezielle Gefahrensituation geht's beim nächsten mal!

Dienstag, 11. Dezember 2012

Dann fangen wir mal an zu reisen!

Unbegrenzte Möglichkeiten, oder möglichst beschränkt – die USA

Es war Juli 1994, ich hatte Abitur und Wehrdienst hinter mir, und das Studium noch vor mir. Und beim Bund war ich nur aus einem Grund: die Wehrpflicht (die damals noch zwölf Monate betrug) war drei Monate kürzer als der Zivildienst. Dadurch konnte ich zwischen dem Dienst für Papa Staat und dem Studium ganze drei Monate für mich herausschinden. Und die sollten dafür verwendet werden, um meinen ersten großen, selbst bestimmten Trip in die Welt der Rucksackabenteuer zu unternehmen. Vieles von dem, was ich weiter vorne in diesem Buch geschrieben habe wusste ich noch nicht. Eines allerdings war mir klar: das Ganze ist ein Experiment. Was also tun, wenn mir das Leben als Backpacker so überhaupt nicht liegt? Daraus ergab sich folgende Überlegung:
Du brauchst ein Land, in dem du zum Einen die grenzenlose Weite genießen kannst, aber zur Not auch schnell wieder in den Armen der Zivilisation liegen kannst. Und es sollte ein Land sein, in dem ich problemlos kommunizieren kann – also bevorzugt englischsprachig. 

Große Weite + Englisch = Amerika!

Die Gleichung machte Sinn. Also begann ich meine Rucksacklaufbahn im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Und wie immer beim ersten Mal bleibt einem vieles detaillierter in Erinnerung, als bei vielen späteren Erlebnissen. Die Fahrt zum Flughafen, der Flug über Grönland – diesen riesigen Haufen Eis – bei strahlendem Sonnenschein, die Landung in Los Angeles, und die endlos scheinende Fahrt mit dem Bus zur gebuchten Jugendherberge. Für die erste Nacht hatte ich mir ein Bett von Deutschland aus reserviert, um auf Nummer sicher zu gehen. Wie sich herausstellte der erste Fehler, denn es hätte jede Menge günstigerer Unterkünfte in nähren Gefilden gegeben. Aber das war halb so schlimm.
So konnte ich wenigstens gleich (vom Linienbus aus) die ersten Eindrücke von amerikanischen Städten gewinnen, und in meinem mentalen Notizbuch vermerken, dass die Staaten offenbar nicht nur ein Quell von steter Freude und Überfluss sind. Heruntergekommene Vorstadtbezirke und Rotten ungewaschener Biker mit dem Waffenarsenal für den kleinen Straßenschläger können einem den ersten Eindruck ganz schön versauen! Und der Busfahrer hatte von der übertriebenen Freundlichkeit der Angestellten im amerikanischen Dienstleistungsgewerbe garantiert auch noch nichts gehört. „Stand behind the line“, oder „Don´t talk to the driver“ waren dann auch nur ein paar der Schilder, die mir in dem Bus sofort sagten, wo es hier langgeht. Wo in Deutschland ein simples Parkverbotsschild seinen Dienst verrichtet, steht in den USA ein Schild mit dem netten Text „Don´t even think of parking here!“, also: „denken Sie nicht mal dran hier zu parken“.

Daneben Schilder, die auf das Verbot von Alkohol in der Öffentlichkeit hinweisen, und solche die einem sagen, zu welchen Uhrzeiten man die – großspurig als Park bezeichnete – Grünfläche betreten darf, und wann nicht.
War das das Land der unbegrenzten Möglichkeiten?
Alle erdenklichen Spinnereien kommen aus den USA, und warum? Mein Eindruck war der: überall dort, wo viele Menschen sind, gibt es ein Übermaß an Verboten. Was tut man also? Man geht in die reichlich vorhandene Natur, in die Gegenden, in denen man keinen Menschen stört, beleidigt, gefährdet, oder sonst irgendwie nervt, und lässt seinen Ideen freien Lauf. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zieht sein Potential also nicht wirklich aus den gegebenen Freiheiten, sondern schlicht aus der grenzenlosen Weite. Wer aus dem Überbevölkerten und verstädterten Europa kommt wird auf jeden Fall allein durch die Tatsache überwältigt sein, dass es hier Flecken gibt, an denen man bis zum Horizont kein Haus, keinen Strommast, keinen Fabrikschornstein, und keine sonst irgendwie geartete Spur von menschlicher Präsenz findet. Und das in dem Land, das uns den Microchip beschert hat.

Jedenfalls hatte ich auf L.A. spontan keine Lust mehr. Außerdem wollte ich ja keinen Betondschungel bereisen, sondern die große Weite erleben. (Los Angeles habe ich übrigens bis heute nicht genau gesehen. Ob das ein Versäumnis ist kann ich nicht beurteilen. Die meisten Amerikaner sehen in dieser Stadt aber offenbar die Inkarnation der Hölle. Gut, sie übertreiben eben gerne, die Amis, und nachdem ich gesehen habe wie viele von Ihnen ihr Leben fristen war mir auch wieder so einiges klar.)

Meine erste Lektion musste ich kurz darauf in San Diego lernen. Ich hatte auf der Straße zwei Mädchen kennen gelernt, die mir Ihr Hostel in der J-Street zeigten. (Dass in den USA ganze Straßenzüge nur mit Buchstaben gekennzeichnet werden war auch eine Erfahrung, aber darum geht es hier nicht. Das Alphabet kennt ja wohl jeder.)
Eine Nacht habe ich dort verbracht, bevor es weiterging. Ich wollte schnellstmöglich in den Joshua Tree Nationalpark.

Man sollte meinen, dass jeder Mensch auf der Welt den Joshua Tree kennt, jenen eigentümlichen Baum, der aussieht wie ein Zwischending aus Palme und Kaktus, der nur in dieser bestimmten Gegend vorkommt. In jedem zweiten Musikvideo ist er mittlerweile zu sehen, -zig Werbefilme für Autos sind hier gedreht worden, und er ziert das Cover des wohl bekanntesten U2-Albums mit dem gleichnamigen Titel.
Komisch also, dass der Mann am Empfang noch nie in seinem Leben von diesem Gewächs, geschweige denn von dem dazugehörigen Nationalpark gehört hatte. 


(„Frag einen Einheimischen“ hab ich mir gedacht, „die kennen sich aus…“)
Und während ich mich noch über die „Ignoranz dieser Amis“ aufregte ist mir etwas aufgefallen. Wenn mich zu Hause ein Tourist nach einer der vielen Sehenswürdigkeiten in meiner Heimatstadt fragen würde – von 90 Prozent hätte ich noch nie gehört. Nicht zu reden von denen, die sich in 100 Kilometern Entfernung befinden. Oft stellt man also doch fest, dass man gar nicht weit fahren muss, um großartige Dinge zu sehen und zu erleben. Oft befinden sie sich direkt vor der eigenen Nase. Die Ironie ist die, dass ich für diese Erkenntnis erst einige 1000 Kilometer weit geflogen bin. (Wobei ich heute noch die These vertrete, dass ich mir die Dinge in meiner näheren Umgebung auch noch ansehen kann, wenn ich alt und gebrechlich bin. Mit 80 Jahren werde ich wohl kaum noch einen Rucksack um die halbe Welt schleppen, auch wenn ich mir das heute wünsche.)